Vom Zusammenhalten

Ich habe Lieblingswörter. Also Wörter, die mir aufgrund der Inhalte, die sie transportieren wirklich viel bedeuten.

Meine Freunde müssen manchmal schmunzeln, weil sie genau wissen, wann ich über diese Lieblingswörter spreche. Dann leuchten meine Augen und ich spüre eine Kraft, die der Schönheit und Wahrheit ihrer Bedeutungen entspringt.

Seit ein paar Jahren liebe ich das Wort SOLIDARITÄT oder vielmehr liebe ich die Geschichten, die mit diesem Wort geschrieben werden.
Einer meiner Profs hat diesen alten Begriff wieder in mein Bewusstsein gebracht. Manchmal helfen mir Wörter wieder für ihre Existenz im Alltag aufmerksam zu werden. 
Und so laufe ich durch diese Welt und schaue nach diesen kleinen Minuten der Solidarität. 

Ich liebe diese Momente der Mitmenschlichkeit, weil sie mich daran erinnern, dass es etwas gibt, das allem Egoismus, allem Individualismus trotzt. Ich liebe diese Momente, weil sie so unverblümt jeder berechtigten Gesellschaftskritik die Zunge 'rausstrecken.
Wenn ich diese alltäglichen Gesten der Solidarität sehe, dann macht mich das irgendwie immer so hoffnungsfroh:

Die junge Dame stellt sich in die U-Bahntür. Die Türe versucht zu schließen, aber sie stellt sich dazwischen, drückt sie fünfmal wieder auf, es piepst und tut und macht. Manche sind schon genervt, aber er und sein Hund haben es noch geschafft einzusteigen. 

Zusammenhalten. Selbst wenn man sich nicht kennt. Vielleicht steckt in diesem Begriff nicht ohne Grund das Wort Halt.

Jemand nimmt sich trotz des stressigen Alltags Zeit um Jugendliche in der Untersuchungshaft zu besuchen. 

Mitmenschlichkeit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mit Menschen sein. Selbst wenn sie sich im Knast befinden.

Klar, Solidarität kostet auch etwas, wie irgendwie alles Wertvolle uns etwas kostet und vielleicht wird es überhaupt erst wertvoll, weil es uns etwas kostet.
Solidarität kostet manchmal zwei Stunden, kostet mich meinen Blick auf mich selbst. Solidarität kostet gelegentlich 40 Euro, Überwindung und oft genug muss ich mich bewusst dafür entscheiden. 

Aber dann wenn ich es tue, ich zahle der Mutter an der Kasse, die ihren Geldbeutel vergessen hat, den Einkauf und vielleicht wird sie das Geld zurück überweisen und vielleicht auch nicht. Wenn ich es tue, macht es mich froh.

Ich versuche dabei mittlerweile mehr auf meine Intuition zu hören. Ich versuche dieser leisen Stimme in mir mehr zu vertrauen. 

Neulich war ich mal in der Bahn und eine junge Frau hatte kein Ticket und prompt wurden wir kontrolliert. Meine Intuition hat mir einfach so gesagt, dass ich ihren Beleg bezahlen soll. Ich habe natürlich gezögert, gehadert, weil ich sie nicht bevormunden wollte und überhaupt so was macht man doch nicht! Ich bin dann aber doch ausgestiegen, als sie ausgestiegen ist und habe etwas verlegen gefragt, ob ich ihren Beleg  bezahlen dürfe. Die junge Frau hat mich mit großen Augen angeguckt und sofort ja gesagt. Dann hat sie mir noch erzählt, dass sie einfach nicht genug Geld dafür haben, jedes Mal ein Ticket zu kaufen.

Wenn ich mich für die Solidarität entscheide, macht es mich immer auf eine besondere Art und Weise glücklich.
Warum eigentlich?

Vielleicht weil ich in diesen Momenten spüre, dass ich Teil von etwas Größerem bin.

Vielleicht weil ich mich in diesen Minuten mit anderen Menschen verbunden fühle.

Vielleicht weil er und sie mir für einen kurzen Augenblick näher sind, als sonst.

Solidarität befreit uns aus unserer erdachten Isolation, denke ich manchmal. 
Denn leben wir nicht eigentlich, wie Martin Buber es so schön sagt, "unerforschlich einbegriffen in der strömende Allgegenseitigkeit"?

Wir können scheinbar nicht alles alleine schaffen.

So platt es klingt: Wir brauchen uns.
Wir sind einbegriffen in den Strom des Aufeinander-Verwiesenseins. 

Ich muss lachen, denn ich predige mal wieder mir selbst: Ich gehöre absolut nicht zu den Menschen, die gerne auf andere angewiesen sind. Will mich bloß nicht verletzlich machen. Zu oft, zu stolz. Aber ich komme durch meine leicht und gelegentlich auch stark verpeilte Art immer wieder in den Genuss der Mitmenschlichkeit:

Busfahrer halten mitten auf der Straße an, um mich noch mitzunehmen. 
Wildfremde Menschen leihen mir ihre Handys.
Ein portugiesischer Geschäftsmann nimmt uns bei strömendem Regen ein paar Kilometer mit, obwohl er eigentlich in die andere Richtung muss. 
Freunde drucken in letzter Sekunde meine Papers, holen mich spät abends vom Flughafen ab, laufen für mich zur Apotheke, nehmen mich nach einem miesen Tag in den Arm. 
Die Liste ließe sich noch lange  fortschreiben. 


Und immer wieder erlebe ich in diesen Momenten der Angewiesenheit, wie der Andere plötzlich ein Gesicht bekommt, zum Du wird. 
Ich erlebe, dass das mit-Menschen-sein, das Zusammen-halten dem Leben auch irgendwie Sinn verleiht.
Jemand lächelt, weil er für einen kurzen Augenblick mein Held sein konnte. 

Also nehme ich mir mal wieder vor:
Schluss mit dem Einzelkämpfertum! Ein Hoch auf die Solidarität! 
Sie fängt uns auf. Sie erhebt uns. Sie befreit uns.

Aus unserer Selbstzentriertheit und unserem Stolz und gerade weil sie das tut, macht sie uns zu glücklicheren Menschen und zu einer menschlicheren Gesellschaft.

 

eure johanna

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Kommentare: 2
  • #1

    Esra (Dienstag, 30 Oktober 2018 20:53)

    Worte die Gefühle und Geschichten in mir berühren�

  • #2

    schaffi (Donnerstag, 01 November 2018 16:40)

    da krieg ich doch grad Lust auf Solidarität
    danke, dass du mir diesen Begriff so greifbar und schmackhaft gemacht hast

    hab am Wochenende ein Seminar mit dem Titel: "Heldinnen des Alltags"... - da passt das ja voll dazu