Einen Text über Angst zu schreiben, erscheint mir nicht gerade populär und ich muss schon zugeben, es kostet mich ein bisschen Mut.
Früher ja, da war ich sehr mutig. Finde ich zumindest.
Ich bin mit 13 Jahren 27 Stunden alleine nach Australien geflogen zu einer Tante, die ich nicht kannte. Ich bin mit 15 Jahren
freitagsnachts in das Zentrum von Lima gegangen, um den Jugendlichen auf der Straße Käsebrötchen und Kaba zu bringen. Ich erinnere mich noch gut, dass oft die Polizei kam und dann gab es meistens
viel Stress.
Ich habe in Peru Taxis von der Straße genommen und meine Mitschüler fanden mich verrückt dafür.
Ich habe ein Fsj in einem Strafvollzug in freien Formen gemacht. Türe an Türe mit Jugendlichen Häftlingen
gewohnt.
Ich denke, dass ich so selten Angst hatte, weil meine Eltern vor fast nichts Angst haben. Sie haben mir nie gesagt: "Du
solltest in Israel nicht trampen und auch nicht alleine nach Afrika reisen!" Ich hatte das Privileg mit Eltern aufzuwachsen, die mir wirklich alles zutrauten, vielleicht war das manchmal so
gar etwas naiv. Ziemlich sicher sogar.
Aber heute ist es anders. Ich bin älter geworden und jetzt habe ich Angst vor dem Fliegen. Ich habe Angst, dass meiner kleinen
Nichte auf dem Weg zur Nachbarin etwas zustößt. Ich kann meinem Freund kaum dabei zuschauen, wie er auf so ziemlich alles hochklettert, was ihm in die Quere kommt. Und ich weiß, es klingt ein
bisschen albern, aber ich habe Angst, wenn ich nachts Geräusche höre und frage mich, ob es ein Einbrecher sein könnte. Ich habe manchmal auch Angst die falschen Entscheidungen zu
treffen.
Aber vor allem habe ich die Sorge, dass ich eine der Personen, die ich wirklich liebe, verlieren könnte.
Vielleicht hat sich mit den Jahren die Angst zu mir gesellt, weil ich mehr und mehr mit der Verletzlichkeit des Lebens
konfrontiert wurde. Die Angst erinnert mich jedenfalls daran, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Es gibt nun mal Flugzeuge die abstürzen.
Hach, denke ich mir, die Angst wäre ja ganz okay, vielleicht gerade noch zu ertragen, wenn sie uns nicht so fürchterlich
einschränken würde. Ich bin nämlich ein sehr freiheitsliebender Mensch und es passt mir überhaupt nicht in den Kram, dass Sorgen wie diese wuchernden grünen Pflanzen im Garten, so viel Raum in
meinem Herzen einnehmen. Ich wünsche mir Herzensweite und nicht Sorgensenge.
Klar, mache Ängste sind berechtigt, geradezu wichtig, sie machen uns vorsichtig in einem positiven Sinne, aber über diese
Ängste schreibe ich heute nicht.
Also was tun? Ich will nämlich auf keinen Fall einer dieser Mütter werden, die mit dem Fernglas schaut, ob die Kinder auch
wirklich bei der Bushaltestelle angekommen sind oder die auf irgendwelchen Partys erscheint und fragt: "Ist alles okay, mein Sohn, gehts dir gut, willst du nicht lieber mir mir nach Hause
kommen?"
Bloß nicht.
Was mir hilft sind drei Dinge.
Erstens: Direkte Konfrontation. Bämm in your Face, liebe Angst. Ich fliege, obwohl ich Flugangst habe. Ich laufe im Dunkeln
über das Feld nach Hause, obwohl ich Angst davor habe. Ich halte vor 250 Leuten einen Input, obwohl es mir Angst macht.
Manchmal hilft eben nur, der Angst direkt in die Augen zu schauen. Mhhh ja, aber wenn sich einer dieser gemeinen riesigen
Falter auch nur in unmittelbarer Umgebung von mir befindet, ist das so ne Sache...
In your face, klappt also auch nicht immer bei mir.
Zweitens: Manchmal ist es auch einfach gut diesen ängstlichen Teil in uns mal feste zu drücken. Ihm zu sagen: "Ich sehe dich!
Ich habe Verständnis für dich!" Vielleicht braucht er gerade einen Kuss auf die Stirn oder eine warme Decke zum Einkuscheln.
Ja und zu guter Letzt, warum nicht einfach mal der Angst einen Brief schreiben. Damit man die Angst vor der Angst
verliert.
Ich nehme also meinen Lieblingskuli zur Hand und beginne zu schreiben:
Liebe Angst,
ich würde dich nicht gerade als eine Freundin bezeichnen,
denn du verbaust mir so manches Mal den Weg.
Leise und doch so hartnäckig sprichst du darüber, dass dieses Leben endlich ist.
Du erinnerst mich daran, dass vieles so zerbrechlich ist.
Ich will das nicht hören, denn du verunsicherst
mich.
Aber ich weiß:
Ich kann dich nicht einfach fortschicken.
Denn dann setzt du dich ins Unsichtbare und hast noch mehr Macht,
also werde ich zu dir sagen:
"Willkommen, Angst.
Ich sehe dich. Ich höre dich.
Lass mich dich mal kurz drücken."
Ich werde sprechen:
"So, aber jetzt muss ich auch wirklich weitermachen."
Und dann muss ich dich gelegentlich auch einfach mal stehen lassen.
Denn ich kann nicht immer Acht auf dich geben.
Vielleicht werde ich auch zu dir sprechen:
"Fürchte dich nicht, liebe Angst!" Denn das spricht mir auch jeden Tag einer zu.
Du sagst dann:
"Ach, jetzt ist mir irgendwie zu langweilig bei dir geworden. Und dann packst du deine Tasche mit den vielen Sorgen.
Drehst dich noch einmal um und sagst: "Auf Wiedersehen!"
Ich winke dir zu und denke mir heimlich "auf Wiedersehen" muss wirklich nicht sein. Also rufe ich dir hinterher: "Lebewohl, du
treue Seele!"
eure johanna
copyright Foto: Allianz
Kommentar schreiben
Schaffi (Mittwoch, 16 Januar 2019 20:55)
Ist ja einfach nur cool die Idee mit dem Brief schreiben
Ich gönne meiner Angst öfters mal einen freien Tag
Manchmal war sie zu lange im Einsatz, sieht bisschen überarbeitet aus - dann Geb ich ihr auch mal ein verlängertes Wochenende frei�
Irgendwer da draußen (Sonntag, 03 Februar 2019 17:48)
"Fürchte dich nicht liebe Angst" - love it!