Gott und die Welt

Im Sommer

Da sah ich ihn eines Abends wie er

In dunkelbraunen Birkenstocks lässig

Mit 'ner Flasche Rotwein in der einen

Jutebeutel in der anderen Hand aus seiner Wohnung kam

Unterwegs

Beschwingten Schrittes

Freunde besuchen

An einem lauen Sommerabend.

Alter, so 62 Jahre, graue kurze Haare mit gemütlicher Figur.

Er wirkte fit, vielleicht ein bisschen wackelig in der rechten Hüfte.
Ist sicher schon einige Schritte in seinem Leben gelaufen, dieser ältere Herr.
Gewandert, gepilgert, spaziert, geschlendert, gestolpert, gerutscht und gerannt.
Kann schon sein, dass da eine rechte oder linke Hüfte bisschen einknickt. Gereizt wird.

 

Er verließ seine stille Bibliothek, sein Arbeitszimmer,

das an jeder Wand, wie bei anderen Gelehrten auch, mit Bücherregalen bis unter die Decke vollgestellt war.

Schlaue Bücher, die das Wissen der Welt zu erklären versuchen, Kommentare und Erläuterungen. Gesammeltes Wissen, schwarz auf weiß.

Er verließ seine stille Bibliothek, munter grinsend um Freunde zu besuchen. Sonst ist er eigentlich immer da.
Sitzt mit leicht geneigtem Kopf über seinen Büchern.

 


 

 

Was hat das mit Gott und der Welt zu tun, fragst du dich.

 

Dieser ältere Gelehrte strahlt eine tröstliche Ruhe aus.

Ein gelassenes Dasein, wildschön und tiefsinnig. Warm und innerlich aufgeräumt, wirkt sein Wesen.

Und eine Standhaftigkeit bemerke ich, eine wundersame Wurzeldichte, nach der ich mich manchmal sehne.

 

Ich schätze und respektiere meine Freundinnen, die 10 oder 20 älter sind als ich, ja eine ist an die 40 Jahre älter und weiser („70 and still sexy“) unglaublich. Sie stehen anders im Leben. Auf ihren Beinen, in Birkenstocks und fairttrade Korkballerinas haben sie schon viele viele Schritte hinter sich und das macht sie vertrauenswürdiger, sie erscheinen erprobt und wirklichstark. Sie hören zu und sagen mir eher wer ich bin, als was ich zu tun habe. Vor allem hören sie zu und sie sind da. Wie dieser ältere Herr. In ihrer Gegenwart erwartet mich eine Gelassenheit, in der mich selbst und meine „ach so wichtigen Gedanken, Sorgen und Fragen" etwas lassen kann, bisschen loslassen kann. Dieses Erleben macht mich freier und leichter.

Der ältere Herr verkörpert für mich auch eine Form dieser Gelassenheit. Sein Anblick schenkt mir innere Freiheit. Manchmal hat er Besuch. Einen Sohn vielleicht. Der steht ab und an am Fenster der ‚stuckverzierten, gelehrten-Altbauwohnung‘ seines Vaters und raucht n Fluppchen. Auch er scheint die Freiheit zu haben, sich aus dem Fenster seines Vaters rauchenderweise lehnen zu dürfen. Gelassenheit erleben. Stückchen Freiheit finden.

 

Manchmal stelle ich mir Gott so vor. Nicht alt und senil. Eher weise, weil erfahren. Eher stark, weil schon so viele Kilometer gepilgert. Vielleicht hinkt er etwas, möglicherweise stecken seine starken Beine in ästhetisch fragwürdigen Gesundheitsschuhen...Ich stelle ihn mir vor, als frohen standhaften Nachbarn, der immer da ist und doch einer, der jede Möglichkeit beim Schopf greift, um sich an Sommerabenden mit einem Weinchen zu Freunden zu setzen. Einer, der erzählt und lacht und heimlich seine Birkenstocks auszieht, sich auf der Terrasse ausstreckt, um die Sterne zu bestaunen.

 

 

 

 

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