Wenn man in Stuttgart vom Olgaeck zu unserer Wohnung läuft, kommt man an mehreren Mülleimern vorbei. Auf einem klebt dieser Sticker.
An manchen Tagen eile ich an die sechsmal an diesem Aufruf vorbei. Ein zwei Mal hat der Sticker bewirkt, dass ich aufgehört habe, Jakob wie eine Irre an seiner Hand den Berg hochzuziehen und dass ich mich seinem Tempo angepasst habe. Wertvoll. Sein Tempo finden. Sein Tempo bestärken und achten. Hat was mit Respekt zu tun.
Um dieses SLOWLIFE oder auch „sacred slow“ versus „fast faith“ geht es meiner aktuellen Lektüre.
Fast Faith, also schneller Glaube, so wie fast food, ist eine Form rastloser Spiritualität. Spiritualität, die sich nach schnellen neuen Erfahrungen sehnt, nach dem neusten Glaubenstrend,
vielleicht dem neusten Buch, das alle zitieren, in dem Glauben, dass dieses Neuste, möglicherweise die recycelte Hoffnung mich erfüllen und befrieden kann. So definiert es Alicia B. Chole.
Bei schnellem Glauben steht bessere Performance, gesteigerte Erfahrungen, mehr Verdichtung in kürzerer Zeit (also mehr „Glaubensgewinn“) im Mittelpunkt.
Sacred slow, heilige Langsamkeit, setzt auf die Beziehung. Nicht Erfahrung. Und schneller ist kein Synonym für besser. Nein. Wirklich nicht. Schnellere und gehäufte Erfahrungen produzieren keine
besseren und tieferen Beziehungen mit Gott oder mit anderen. Das dürfte das Problem von FAST FAITH sein. Beziehungen brauchen Zeit und Raum, eine achtsame Haltung und echtes Wahrnehmen des
Anderen.
Da sein, wo der andere ist.
Und Zuhören.
Aufhorchen.
Genau Hinhören.
Auch auf die Zwischentöne und den Klang der Stimme,
den Geist, der mitklingt.
Schließlich auf die Worte hören, die mir zugeflüstert oder zugesprochen oder zu gesungen werden.
In welcher Form und mit welchem Klang uns Worte erreichen, ist bedeutend.
Form ist eben nicht nur Formsache, sondern wichtig. In Gedichten erreichen uns Worte sehr konzentriert. Gedichte, mit wenigen auserwählten Worten verlangsamen uns. Poeten zielen oft darauf, dass
wir die Worte wieder und wieder lesen. Und langsamer werden. Poeten setzen auf wiederholtes Lesen, wiederholendes Hören (auch bei Liedtexten), lang-anhaltende Zeiten mit vielleicht nur 5
Worten.
Worte, sparsam und liebevoll ausgewählt können uns verlangsamen und helfen, uns innerlich zu sortieren. Unsere Aufmerksamkeit auf das zu legen, das in diesem Moment wirklich wichtig ist. Mit
Geduld und Wiederholung verstehen wir vielleicht nicht nur die einfache, sondern auch die hintersinnige Bedeutung der Worte oder eine Metapher wird zu einem lebendigen inneren Bild. Gedichte
enthalten in ihrer Struktur für mich die Möglichkeit durch Verlangsamung zu einer inneren achtsamen Haltung zu gelangen. Ich werde gegenwärtiger vor Gott und mit ihm. Echter vor mir und mit
mir.
Es könnte sein, dass Gedichte zu lesen und zu meditieren kleine Schritte auf meinem heilig langsamen Glaubensweg sind.
Könnte sein, dass ich Jesus begegne, wenn ich mir Minuten zum Horchen und Hören nehme?
Könnte sein, dass diese Worte für mich lebendig werden, echte Lebensrelevanz für mich haben?
Zwei Gedichte habe ich ausgewählt.
Kondensiert mit wenig Worten.
Zum Üben.
Vielleicht Lesen.
Wieder Lesen.
Hören.
Stille bleiben.
Wieder hören.
Vielleicht nochmal lesen.
Weiterüben.
Langsamer werden.
heute war da
genug vater genug kindsein
genug gemeinschaft genug hoffnung
genug willen genug hingabe
heute war da
genug brot genug widerstandskraft
genug versöhnung genug gelassenheit
genug schutz genug freiheit
Und dann fällt mir noch dieses Sprichwort ein, das ein Bekannter aus Indien mir vor einigen Jahren geschenkt hat:
slowly slowly oh my soul
slowly everything will happen
the gardener can pour hundreds of tons of water on the plants
but when the right season
comes,
the fruit will come out.
Nimm eins. Und lies.
Mach was draus.
Quellen zum Weiterlesen:
Deutsche Gedichte aus: Minimeditationen und Miniaturen für das ganze Jahr. Eine Initiative der Kommunität Don Camillo. Reinhardt Verlag Basel, 2016.
Sacred Slow von Alicia Britt Chole
Eugene Peterson in: Subversive Theology, p.180-184.
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