Von smarten Taxifahrern und 'Openminds'

 

Wir steigen in ein Taxi. Dekadent hier. Mein Mann hat das Auto und wir lassen uns fahren. Nur ein paar Kilometer. Die Strecke würde anders nicht gelingen. Muss aber sein, heute. Ich unterhalte mich mit unserem Fahrer, der im frankophonen, dann anglophonen Schulsystem in Ruanda aufgewachsen ist. Vor und nach dem Genozid war es französisch, erst seit 2006 auf dem Papier anglophon, überall seit jeher Kinyar. „Kinyar“ nennen manche Ruander liebevoll ihre Sprache und bringen mir ihr proper Kinyar bei. Ich übernehme das Wort Kinyar in mein Vokabular, weil es so vertraut und lieb klingt. Und einfacher ist als „Kinyaruanda“ (mit g in der Mitte ausgesprochen). Wir unterhalten uns auf Französisch, English und Kinyar. Wir verstehen uns, obwohl wir keinen Satz in der gleichen Sprache beginnen oder beenden. Als ich etwas über Traditionen und Identität ausdrücken will, fühle ich mich so schlecht, so weiß irgendwie, so komisch privilegiert, dass ich mich unterbreche und sage „oh sorry, I feel so bad for my colour of skin and I feel some kind of historic guilt.“ Er beginnt mir in den folgenden Minuten,
stark und klar seine,- und wie mir scheint, eine eher ruandische Lebens-philosophie aufzuzeigen.
Er ist viel eloquenter als ich. Und das in 3 Sprachen. Spricht neben Kinyar, Französisch und English noch Kisuaheli und hat u. a. Finanzwesen in Kigali studiert.

"Oh no, you know, the past is the past. The past is over. The past is only a lesson. Lesson, gusa. Lesson only. You cannot blame somebody for her or his history. For his or her parents. Or for his and her colour of skin. (Ergänze ich).
The present is now. We live now. And we live for the future.
The past is a lesson to learn from for Now. And for the future."

Da ist eine Richtung, eine Ausrichtung in der Deutung und der Erfahrung der Vergangenheit.

 
Wie würde es dir wohl ergehen, in einem zentral-afrikanischem Land, das viel kolonialistische Vergangenheit hinter sich hat, ein Land, reich an Menschen, an Menschenkindern, reich an Sprachen, Erfahrungen und Traditionen mit einer extrem schwierigen Bantu Sprache?
Ich denke für mich oft- „schuldig“. Meine Urteile: Weiß, sicherlich subtil oder auch offensichtlich rassistisch, sicherlich verwöhnt, an Luxusleben und hohe Ausbildungsstandards gewohnt, sicherlich irgendwie diese blinden Flecken. Mich bewegt, dass ich in meiner Geschichte und den Traditionen aus Deutschland u.a. so viel Rassismus entdecken kann. Ich bemerke in diesem Taxi, blau schimmernder Toyota, tiefergelegt, mit Hanfduftbaum und sonnenbebrillten Taxifahrer, niemand verurteilt mich. Nicht unser lieber Taxifahrer. Denn es ist ganz einfach: Jede/r hat Böses und Gutes und Schattierungen in seiner Geschichte. You cannot blame somebody for whatsoever... Versuche lieber jetzt, eine gute Version deiner selbst zu sein. Versuche dich zu entwickeln. Jetzt.

 

Denn jetzt leben wir. Und für die Zukunft leben wir.

Ich erlebe, dass in Ruanda, zwischen Muhanga und Kigali sehr intellektuelle und eloquente Menschen als Taxifahrer, als Mototaxi- oder Fahrradaxifahrer hinter dem Steuer arbeiten. Mehrsprachig, reflektiert und verurteilungs"frei". Menschen, die üben, weltoffen, positiv und hoffnungsvoll ihr Jetzt zu leben.

 

Vielleicht geht es dir ähnlich wie mir.
Vielleicht bist du in der Tradition der protestantischen Kirche oder im lutherischen Umfeld aufgewachsen und trotzdem erwachsen?! Vielleicht brauchst auch du eine Erinnerung. Ein Souvenir in dieser Zeit - dass du niemanden für seine oder ihre Eltern, seine oder ihre Geschichte oder Hautfarbe verurteilen oder beurteilen kannst.

You cannot blame. Auch nicht dich selbst.

 

 

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