Liebe Eva,
einmal pro Woche bin ich in der Flüchtlingsunterkunft und biete dort eine Frauenempowertmentgruppe an. Neulich aber wurde ich dort selbst empowert. Davon will ich dir heute erzählen.
Es war ein gewöhnlicher MittwochNachmittag und ich hatte mir vorgenommen noch kurz Mina* in ihrem Zimmer zu besuchen und ein kleines Geschenk für ihre neu geborene
Tochter vorbei zu bringen. Ich klopfte etwas zaghaft, weil ich die frischgebackene Mama eigentlich gar nicht stören wollte. Da machte mir eine andere Frau auf und ich betrat das kleine, 12qm
große Zimmer, in dem sie mit ihrem Mann, ihrem Sohn und dem kleinen Baby wohnt. Der Raum war voller Frauen, sie saßen auf dem Boden und eine schaukelte das Baby in den Schlaf. Ich wurde gleich
aufgefordert mich dazu zu setzen. Dann nahm Mina das Baby und legte es mir in die Arme. Ganz selbverständlich, als würde sie mir sagen wollen, ich teile mein kleines, großes Glück mit euch. Sie
war so mini und wunderschön. Mina verschwand anschließend im Badezimmer und kochte mir einen sehr süßen Instantkaffee. Ich saß etwas verlegen zwischen all den Frauen da, mit denen ich mich leider
kaum verständigen konnte. Dann wurde ich gefragt: "Baby, wann, Johanna"? Mhh, wie erkläre ich jetzt ohne Worte, dass ich mir auch ein Baby wünsche und das schon lange. Ich zeigte ihnen meine
Traurigkeit im Gesicht und schüttelte den Kopf: "Nein, leider kein Baby!" Ein verständnisvolles Kopfnicken ging durch die Runde, sie hatten mich verstanden, dafür brauchte es nicht viele Worte
und dann erzählte mir Mina mit ihren wenigen Brocken Englisch, dass sie damals fünf Jahre auf ihren Sohn warten musste und dass sie in dieser Zeit sehr viel geweint hatte und dann mitten auf der
Flucht ist das Wunder geschehen. Ich fühlt mich in diesem Moment so verstanden, wie schon lange nicht mehr. Zwischen all diesen Frauen, die meine Sprache nicht sprachen, gab es eine andere Ebene
des sich Verständigens, sich Nahe seins: Solidarität. Sie waren in diesem Moment solidarisch mit mir und ich fühlte mich unter Schwestern, Müttern, Freundinnen. Ich spürte: Wir teilen das
gemeinsame Warten, den Wunsch nach neuem Leben, die Machtlosigkeit, das Hoffen und Staunen, wenn es dann doch klappt. Bevor ich ging, zeigten sie mir mit der islamischen Gebetshaltung, dass sie
für mich beten werden, "insallah, Johanna, insallah!" So Gott will, so Gott will. Ich ging getröstet und gestärkt nach Hause. Verbundenheit braucht keine Worte.
Alles Liebe!
Deine Johanna
*Name geändert
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Schaffi (Samstag, 20 Mai 2023 11:22)
Danke, Johanna
Was für eine starke Begegnung..... mitten im Alltag�
Luise (Sonntag, 21 Mai 2023 14:29)
Liebe Johanna,
tief berührend. So viel verbindende Wärme bei offenen Herzen.